Interviews aus der Ausstellung
26. Mai bis 8. Oktober 2023
Wer oder was ist deutsch?
Lange Zeit hieß es: Deutschland ist kein Einwanderungsland. Heute wirkt dieser Gedanke sonderbar. Denn Einwanderung gibt es seit Jahrhunderten. In der Vergangenheit wurde sie immer wieder organisiert und gesteuert, auch vom Staat.
Migration beeinflusst unsere Gesellschaft in allen Bereichen. Heute hat über ein Viertel der deutschen Bevölkerung eine Migrationsgeschichte. Das kann die eigene sein. Oder sie stammt von mindestens einem Elternteil. Vielen Menschen wird aber noch immer deutlich gemacht, dass sie nicht zur Gesellschaft dazu gehören.
Arbeit für Gäste?
Arbeit ist wichtig. Man muss Geld verdienen, um sich Wohnung, Essen und Kleidung leisten zu können. Aber ein Arbeitsplatz bedeutet auch, dass man am gesellschaftlichen Leben teilnimmt. Damit sind Ansehen und sozialer Status verbunden. Deshalb ist Arbeit ein wichtiger Grund für Migration.
In Deutschland fehlte es oft an Arbeitskräften. Das ist für den Staat nach wie vor der Hauptgrund, um Einwanderung zu fördern. Bewerber*innen werden danach beurteilt, ob sie „nützlich“ sind. Migrant*innen müssen oft in schlecht bezahlten Bereichen arbeiten, zum Beispiel in der Fabrik oder Pflege. Menschen ergeben sich aber nicht einfach ihrem Schicksal. Sie kämpfen für bessere Bedingungen – und für Grundrechte.
Wo findet das Leben statt?
Wohnen ist ein Menschenrecht. Der private Raum ist ein wichtiger Rückzugsort. Für viele Menschen ist eine eigene Wohnung selbstverständlich. Dieses Recht wird Migrant*innen häufig und systematisch verwehrt. Ein Nachname ist oftmals Grund genug, um bei der Wohnungssuche eine Absage zu erhalten. Dabei steht im Grundgesetz, dass Hautfarbe, Herkunft oder Religion keine Rolle spielen dürfen.
Unser Lebensraum besteht aber auch nicht nur aus einer Wohnung. Auch der öffentliche Raum ist wichtig. Dazu gehören Straßen und Plätze, aber auch Restaurants, Cafés, Clubs, Museen, Theater, Konzertbühnen und vieles mehr. Wir sollten uns fragen: Wer hat Zugang zu diesen Orten? Wer wird ausgeschlossen?
Wer ist das Volk?
Wer darf an Wahlen teilnehmen? Wer schreibt und spricht in den Medien? Wer wird auf welche Weise dargestellt? Wessen Interessen werden vertreten? Wessen Rechte geschützt und verteidigt?
Die westdeutsche Politik richtete sich in den 1980er-Jahren immer stärker gegen Einwanderung. 1990 wurde ein restriktives Ausländergesetzt verabschiedet. 1993 das Recht auf Asyl massiv eingeschränkt. Auf der anderen Seite kämpften Menschen dafür, dass ausländische Einwohner*innen bei der Kommunalwahl abstimmen dürfen.
Rassistische Gewalt
Willkürliche, aber doch gezielte Morde. Gewalt gegen unschuldige und wehrlose Menschen. Familien, die um ihr Leben fürchten. Angst, dass das eigene Haus als nächstes brennt.
Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen und Lübeck die Ortnamen stehen für eine Welle rechter Gewalt. Sie hat zu Beginn der 1990er-Jahre das frisch vereinte Deutschland geprägt. Viele Menschen wurden getötet, schwer verletzt oder traumatisiert.
Erinnern heißt Aufklären
Seit Jahrzehnten kämpfen Betroffene rassistischer Gewalt darum, dass die Verbrechen aufgeklärt werden. Noch immer gibt es offene Fragen: Warum wurden so viele Opfer zu Verdächtigen gemacht? Warum wurde häufig erst spät oder gar nicht in der rechtsradikalen Szene ermittelt?
Die Opfer und ihre Familien fordern, die Erinnerung an die Gewalttaten selbst gestalten zu können. Zu lange wurden betroffene Menschen nicht angehört. Das Gedenken wurde ohne sie organsiert. Verdächtigungen und der Mangel an Unterstützung fühlen sich wie ein zweiter Anschlag an.
Gesellschaft der Vielen
Unsere Gesellschaft verändert sich durch Migration. Sie wird vielfätiger, dynamischer und auch solidarischer. Eine Gesellschaft der Vielen beruht auf dieser Solidarität.
Rassismus richtet sich gegen diese Gemeinschaft. Er dienst dazu, Menschen abzuwerten. Das geschieht oft verborgen in Strukturen und Gewohnheiten.
Credits
Bearbeitung
Karnik Gregorian
Konzept
Johanna Adam und Karnik Gregorian
Gesprächspartner*innen
Advanced Chemistry, Kutlu Yurtseven, Celo & Abdi, Dan Thy Nguyen, Apsilon, Sergio Perdighe, Pham Thi Hoài, Ahmet Sezer, Greckoe, Manuela Bojadžijev, Mehmet Daimagüler, Ismail Deniz, Katharina Warda, Ebow, Massimo Perinelli, SXTN, İmran Ayata, Ergun Can, Cem Özdemir, Filiz Taşkın, Zong Gui Nelson, Faruk Arslan, Mai-Phoung Kollath, Nguyen Do Thinh, Ibraimo Alberto, David Macou, Omid Nouripour, Matthias Quent, İbrahim Arslan, Namik Arslan, Hava Arslan, Yeliz Arslan, Gavriil Voulgaridis, Meral Şahin und Ayfer Sentürk
Vielen Dank an
Theaterstück Mölln 92/22 von Nuran David Calis, Theater Köln, DOMiD Archiv, Dr. Isabel Enzenbach, Mai-Phuong Kollath & Julia Oelkers von bruderland.de, Galerie Kullukcu Gregorian und die Familie Arslan
Musik von
Advanced Chemistry – Fremd im eigenen Land
(Regie Christoph Dreher und Advanced Chemistry. Kamera: Rolf S. Wolkenstein)
Celo & Abdi – Diaspora
(Drehbuch und Regie Lennart Brede)
Apsilon – Köfte
(Produktion: Four Music)
Greckoe, Ebow und SXTN