TALK: Trigger-Punkte vs. Tipping Points
mit Louisa Schneider, Stephan Rammler, Rafael Laguna de la Vera & Paulina Fröhlich
Moderation: Sven Sappelt
Studio Bonn ist das Diskurs-Format der Bundeskunsthalle. Gemeinsam mit Expert*innen aus verschiedenen Arbeitsbereichen und Wissenspraktiken diskutieren wir zentrale gesellschaftliche Herausforderungen unserer Gegenwart und ermutigende Perspektiven für mögliche Zukünfte.
Im Vordergrund stehen die Lust am gemeinsamen Denken, der wertschätzende Austausch von widerstreitenden Positionen und Blickwinkeln sowie die Arbeit an einem geteilten Verständnis über begriffliche Differenzen, disziplinäre Grenzen und weltanschauliche Horizonte hinweg. In diesem Sinne versteht sich Studio Bonn als öffentlicher Beitrag zur demokratischen Selbstverständigung über den gemeinsamen Umgang mit Krisen und Konflikten, über gesellschaftliche Veränderungsprozesse und kulturelle Gestaltungspotentiale.
Studio Bonn findet live in der Bundeskunsthalle statt. Um die Inhalte einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, werden die Aufzeichnungen als Videos und mitunter als Podcasts in der Mediathek der Bundeskunsthalle sowie auf YouTube zur Verfügung gestellt.
Demokratie lebt vom offenen Austausch und der gemeinsamen Verständigung über grundlegende Fragen des Zusammenlebens und des Gemeinwohls. Idealerweise zeichnet sich ein solcher Austausch durch sachliche Argumentation, aufmerksames Zuhören und selbstreflektierte Kompromissbereitschaft aus. Das Ziel besteht in objektiv vernünftigen Ergebnissen, die von allen Beteiligten aus guten Gründen anerkannt und auf lange Sicht praktisch mit umgesetzt werden.
All dies scheint derzeit keine Selbstverständlichkeit mehr zu sein: Politisch ausgehandelte Entscheidungen werden regelmäßig wieder in Frage gestellt und bei Regierungswechseln revidiert. Partikulare Interessensgruppen versuchen, auf fragwürdige und mitunter gewalttätige Weise ihren Einfluss geltend zu machen. Unter Berufung auf die Meinungsfreiheit werden radikale Ansichten und hetzerische Aufrufe verbreitet. Exponierte Akteur*innen werden vor allem in den sozialen Medien persönlich angegriffen. KI gestützte Chatbots versuchen gezielt, Stimmungen in der Gesellschaft durch Desinformationskampagnen zu beeinflussen und politische Wahlen zu manipulieren. All dies muss aber nicht so bleiben…
A mentsh is a mentsh ist der Titel dieser Gesprächsreihe mit Nicole Deitelhoff und Meron Mendel über den Umgang mit Antisemitismus, Rassismus und Post-Kolonialismus. Terror und Krieg in Nahost belasten das gesellschaftliche Klima – auch in Deutschland und Europa. Antisemitische Vorfälle häufen sich – selbst in künstlerischen und wissenschaftlichen Kontexten. Wie soll man damit umgehen? Wie soll man Konflikten und Sensibilitäten, realen und imaginierten Verletzungen, Unschärfen und Widersprüchen begegnen? Wie können wir halbwegs integer miteinander reden und zusammenwirken? Von Mensch zu Mensch?
Die Titel basiert auf dem Kunstwerk des Künstlers Naneci Yurdagül – ohne Titel – a mentsh is a mentsh (2020), der zu dieser Reihe das Bühnenbild gestaltet hat.
Der islamistische Terror und Krieg in Nahost belasten auch das gesellschaftliche Klima in Deutschland und Europa. Antisemitische Vorfälle häufen sich – selbst in künstlerischen und wissenschaftlichen Kontexten wie jüngst an der UdK und FU Berlin oder schon 2022 der documenta fifteen. Paradoxerweise wird sich dabei nicht selten auf die Perspektive derjenigen berufen, die ihrerseits Unrecht und Leid erfahren haben.
Wie soll man nun mit all dem umgehen? Wie soll man all diesen Konflikten und Sensibilitäten, realen und imaginierten Verletzungen, Unschärfen und Widersprüchen begegnen? Wie können wir halbwegs integer miteinander reden und zusammenwirken? Von Mensch zu Mensch?
Die öffentliche Auseinandersetzung um den Nahost-Konflikt hat das kommunikative Verhalten in vielen sozialen Milieus massiv verändert. An die Stelle analytischer Beobachtungen und differenzierter Beschreibungen sind vielerorts polemische Vereinfachungen und persönliche Anfeindungen getreten. Die spezifische Dynamik des Konfliktes forciert die Bildung von Lagern, die sich – selbst weit entfernt vom Kriegsgeschehen – scheinbar unversöhnlich gegenüberstehen. Der Versuch, sich einigermaßen unabhängig und integer abseits oder gar vermittelnd zwischen den Konfliktparteien zu positionieren, wird immer schwieriger. Wie sind diese komplexen sozialen und kommunikativen Prozesse zu verstehen? Warum erliegen ihnen selbst diejenigen, die sonst kritisches Denken, künstlerische Freiheit und soziales Engagement für sich in Anspruch nehmen? In unserem zweiten Gespräch über die Auswirkungen des 7. Oktober auf Kunst und Kultur werden wir uns vor allem mit solchen Dynamiken des kommunikativen Handelns beschäftigen – und nicht zuletzt mit der Frage, welche Wege aus den blockierenden Konfrontationen und eskalierenden Situationen herausführen könnten.
Insgesamt hat sich die Lage seit dem 7. Oktober auch in Deutschland und Europa weiter zugespitzt. Die Fronten sind verhärtet und eine legitime Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung überschreitet immer öfter die Grenze zu gewalttätigen Protesten oder persönlichen Angriffen auf Jüdinnen und Juden im öffentlichen Raum. Gemeinsam mit ihren Gästen werden Nicole Deitelhoff und Meron Mendel deshalb darüber diskutieren, welche Formen der öffentlichen Auseinandersetzung derzeit noch produktiv sind und inwiefern gesetzliche Regulierungen zum Schutz vor Anfeindungen notwendig oder im Gegenteil kontraproduktiv sind.
Sehen Sie weitere Episoden von STUDIO BONN aus den Jahren 2021–2023 in unserem Archiv. Unterschiedliche Themenreihen stellen sich Fragen, die unsere Gesellschaft bewegen.
So wird z.B. über Quiet Quitting gesprochen. Was bleibt von einer Gesellschaft, wenn niemand mehr zur Arbeit oder ins Museum geht? In Globale Nervensysteme diskutieren Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Amtsträger*innen darüber, welche Sinne wir schärfen müssen und welche neuen Erzählungen und Weltbilder wir brauchen, um kommenden Katastrophen zu begegnen. Der Themenzyklus Tauschwerte dreht sich wiederum um die Frage, was in der Gesellschaft warum welchen Wert hat und wie sich die Dynamiken der Wertbildung geändert haben. Und The Common Ground stellt die Frage nach dem Allgemeinen: Was hält Gesellschaften zusammen? Welche Techniken und Institutionen erlauben produktive Auseinandersetzungen über die Zukunft? Und welche Rolle spielen darin Kunst und Kultur?
Dr. Sven Sappelt
Kurator für Diskurs & Leitung Studio Bonn
sappelt (at) bundeskunsthalle.de